Kritik der “Konkurrenz der Kapitalisten”
Eine Auseinandersetzung mit einem mangelhaften Machwerk des GegenStandpunkts
Es ist ein etwas ungewöhnliches Unterfangen, sich kritisch mit einer Schrift des Gegenstandpunkts auseinander zu setzen. Ausgangspunkt, warum ich mich im Folgenden bemühe, die “Konkurrenz der Kapitalisten” des Gegenstandpunkts zu widerlegen, ist, dass das Thema der “freien Konkurrenz” eine wirkliche Lücke in der marxistischen Theorie darstellt. Einerseits weist Marx im Kapital nach, wie die Konkurrenz funktioniert und was ihr eigentlicher Inhalt ist: Die Produktion des Mehrwerts und seine Verteilung. Wer also mit der “Kritik der politischen Ökonomie” vertraut ist, wird verstehen, was “die Konkurrenz” in der Ökonomie bewirkt. Andererseits ist es aber gerade die Besonderheit der kapitalistischen Produktionsweise, dass die Substanz – also das, worum es wirklich geht – im direkten Handeln der Akteure nicht unmittelbar sichtbar wird. Bei Marx spielen sich daher eine Menge Prozesse “hinter dem Rücken” der Akteure ab, die sich noch dazu zu den Zwängen, denen sie begegnen, ein “notwendig falsches Bewusstsein” leisten: An der “Oberfläche” erscheint alles verkehrt und der Kern der ganzen Sache – Ausbeutung – widerspricht der Erfahrung freier und gleicher Individuen, die sich allesamt einfach bloß in der Konkurrenz bewähren. Dass sich der Gegenstandpunkt daher dem Gegenstand der Konkurrenz theoretisch widmet, ist sehr zu begrüßen. Leider sind die Ausführungen systematisch so daneben, dass das Projekt völlig misslingt. Im Folgenden soll am ersten Paragraphen der Artikelserie daher gezeigt werden, dass wir bei der theoretischen Bestimmung der Konkurrenz nicht auf diese Arbeiten bauen können. Die notwendige Debatte unterstellt allerdings, dass die Schrift des Gegenstandpunkts bekannt ist, was den Kreis der möglichen Diskutanten vermutlich arg einengt. Auch wer den Text nicht kennt, ist gerne eingeladen, sich mit den folgenden Argumenten zu beschäftigen, eine positive Bestimmung der Konkurrenz entsteht aus der Zurückweisung falscher Vorstellungen jedoch nicht.
In der Einleitung heißt es, man wolle “das falsche Selbstbewusstsein der nützlichen Opfer des Kapitals” zurückführen “auf den wirklichen Inhalt ihrer ökonomischen Abhängigkeit, der in ihren Bemühungen um Gelderwerb, ihrem Mitwirken in der Konkurrenz und den paar Varianten, sich selbst und die Welt zu verstehen, enthalten und zugleich geleugnet ist” (EINLEITUNG: https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/system-freien-konkurrenz-sein-inhalt) und daher an der Analyse der Revenuequellen ansetzen. Weiter unten heißt es dann bereits: “Die Ableitung der die Welt beherrschenden Produktionsweise aus dem Beruf eigennütziger kapitalistischer Bereicherung […] fängt an bei den Prinzipien der Herstellung gesellschaftlich benötigter Güter durch Privateigentümer für lohnenden Verkauf” (EINLEITUG). Diesem Weg folgend, widmet sich das erste Kapitel dann den “elementaren Bestimmungen des kapitalistischen Geschäfts” und stellt gleich in der Überschrift fest, es geht um “gesellschaftliche Produktion für privaten Gewinn” um dann zielstrebig im ersten Paragraphen bei der “Tätigkeit des industriellen Kapitalisten” zu landen (KAPITEL 1: https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/konkurrenz-kapitalisten-i).
Bereits hier bricht die innere Logik des gesamten Projekts: Von der “Oberfläche” - der “objektiv gegebene[n] Privatmacht des Geldes” (EINLEITUNG) erschließt sich die Besonderheit des industriellen Kapitalisten überhaupt nicht. Nicht einmal die “Herstellung gesellschaftlich benötigter Güter” erscheint als herrschender gesellschaftlicher Zweck in einer Welt, wo eben jeder versucht, die Privatmacht des Geldes für sich zu nutzen.
Erinnern wir uns an das Kapitel(fragment) zu den Klassen aus dem 3. Band des Kapitals: “Die Eigentümer von bloßer Arbeitskraft, die Eigentümer von Kapital und die Grundeigentümer, deren respektive Einkommenquellen Arbeitslohn, Profit und Grundrente sind, also Lohnarbeiter, Kapitalisten und Grundeigentümer, bilden die drei großen Klassen der modernen, auf der kapitalistischen Produktionsweise beruhenden Gesellschaft.” (Marx, Das Kapital, 3. Band, MEW 25, 892). Alle drei Klassen eint, dass “deren Komponenten, die sie bildenden Individuen” von ihrer jeweiligen Revenuequelle leben. Marx hat an dieser Stelle bereits nachgewiesen, dass alle drei Revenuequellen der Bewegung des Kapitals entspringen: Der Lohn als variables Kapital, der Profit als verwandelter Mehrwert und die Grundrente als Umverteilung des Mehrwerts (“Die Rente bildet dann einen Teil des Werts, spezieller des Mehrwerts der Waren, der nur statt der Kapitalistenklasse, die ihn aus den Arbeitern extrahiert hat, den Grundeigentümern zufällt, die ihn aus den Kapitalisten extrahieren.” (Marx, Das Kapital, 3. Band, MEW 25, 779)).
Wenn man die drei Bände des Kapitals voraussetzt, dann leuchtet die besondere Rolle des industriellen Kapitalisten durchaus ein, denn er ist es, der Produktion des Mehrwerts anstößt und somit die Revenuequellen seiner und der anderen Klassen erschafft. Der Gegenstandpunkt will aber ja gerade die Marxsche Ableitung nicht voraussetzen, sondern eine neue Ableitung der herrschenden Produktionsweise aus dem “Beruf (?) eigennütziger kapitalistischer Bereicherung” leisten. Der ganze Trick dieser Schrift ist dabei, dass wir einerseits die komplette Marxsche Ableitung mitdenken sollen (und müssen, weil sich sonst keine Logik ergibt) und andererseits aber genau diese Ableitung immer wieder vergessen (bzw. gedanklich aufschieben) sollen, um der eigenwilligen “Logik” der Darstellung zu folgen.
Gleich am Anfang sollen wir uns einerseits erinnern daran, dass der Reichtum der Gesellschaften, in denen kapitalistische Produktionsweise herrscht, an der Produktion der Waren hängt. Gleichzeitig sollen wir dies aber tun mit dem Wissen, dass diese Produktion Sache des industriellen Kapitalisten ist, also das gesamte Kapitalverhältnis einerseits bereits unterstellen, jeden substantiellen Gedanken – wie die Verwandlung von Mehrwert in Profit – aber tunlichst vergessen.
Dafür werden Trümmer dessen zitiert, was man so an der Oberfläche des Kapitals vorfindet. Das Kapitel beginnt mit der Erinnerung, dass es die “Sache” der Unternehmer ist, das Vermögen zu vermehren, über das sie verfügen (KAPITEL 1). Schon die Formulierung “Vermögen” ist irreführend. Denn es geht um Kapital, also ein Vermögen, das bereits einen bestimmten Zweck hat, den der Selbstvermehrung. Unter dem Aspekt Vermögensvermehrung würde jede Tätigkeit der drei Klassen fallen: Der Manager eines Immobilienfonds oder auch seine Putzfrau sind beide damit beschäftigt, ihr Vermögen zu vermehren. Auch wenn es um die Vermehrung von Kapital gehen soll, würde darunter zumindest jede Art der Investition fallen. Aus dem banalen Gedanken: “Sache des Unternehmers ist es, sein Vermögen zu vermehren!“, folgt jedenfalls nicht die Fokussierung auf den industriellen Kapitalisten. Die Entwickelte Form des Kapitalismus ist G – G’: Aus einer Geldsumme wird mehr Geld gemacht. Das ist auch beim industriellen Kapitalisten nicht anders, denn dessen Vermögen (eigentlich Kapital) liegt bekanntlich ebenfalls als Geldsumme vor. Das schreibt der Gegenstandpunkt auc, allerdings erst nachdem er schon Rohstoffe, Maschinen und Arbeiter hat einkaufen lassen: “Der industrielle Kapitalist betreibt die Vermehrung seines Besitzes, indem er die Elemente eines Produktionsprozesses erwirbt – er kauft Rohstoffe und Maschinerie und bezahlt Lohnarbeiter –, den zweckmäßigen Ablauf der Produktion organisiert und die Produkte verkauft” (Kapitel 1).
Leider werden aber alle Übergänge systematisch falsch, wenn man versucht einerseits die Besonderheit der kapitalistischen Produktion zu erklären und andererseits die begriffliche Besonderheiten ignoriert – man will ja nicht über das Wertgesetz reden.
Aus dem Zweck Geldvermehrung wird geschlossen, dass der industrielle Kapitalist aus dem Verkauf der produzierten Waren einen Überschuss erzielen will: “Zweckmäßig sind diese Operationen dann vollführt, wenn der Eigentümer des Unternehmens einen Überschuss über seine Kosten erzielt. Der Teil des Erlöses, der ihm seine Kosten ersetzt, dient zur Erhaltung des Betriebs; durch dessen Fortführung wirft ihm sein Eigentum stetig Gewinn ab, dient ihm als Quelle seines Einkommens. Dieser Überschuss, der wie der getätigte Kapitalvorschuss eine Geldsumme darstellt, dient ihm zur Bestreitung seines Lebensunterhalts, der sich bei ihm wie bei allen anderen Leuten über den Kauf von Waren zum Zwecke ihrer Konsumtion vermittelt” (KAPITEL 1). Weil der Zweck der ganzen Operation die Vermehrung des Vermögens ist, ist sie zweckmäßig, wenn sie das Vermögen vermehrt! Diese Tautologie wird nicht besser dadurch, dass politökonomische Begriffe wie “Überschuss”, “Gewinn”, “Einkommen” und “Geld” kursiv gesetzt werden. Das hervorheben der Worte dient einzig dem Zweck, den Leser daran zu erinnern, dass hier über wichtige Dinge geredet wird, auch wenn sie in der gewählten Banalität der Darstellung eigentlich zur Unkenntlich entstellt sind. Man würde schon gerne wissen, wie der industrielle Kapitalist das Wunder hinbekommt, durch den Kauf und Verkauf von Waren einen Überschuss zu erzielen. Zumal er ja sowohl den Überschuss als auch den Anfangsbetrag wieder in Waren umsetzt, die nur zu dem Zweck produziert wurden, einen Überschuss zu erzeugen.
Die Formulierung “Quelle seines Einkommens zur Bestreitung seines Lebensunterhalts” steht übrigens im Widerspruch zum Ausgangspunkt der Vermehrung als Zweck. Hier wird wieder auf die Ebene der Revenuequelle gewechselt. Ist die “Sache” des Unternehmers nun die Vermehrung seines Vermögens oder die Bewirtschaftung einer Einkommensquelle für seinen Lebensunterhalt? Wer die Natur dieser Einkommensquelle kennt, weiß, dass und wie sich dieser Widerspruch auflöst: Je konsequenter der Kapitalist der Logik des Kapitals als sich selbstvermehrender Wert folgt, um so üppiger sind auch die Mittel, die er für seine eigenen Bedürfnisse zur Verfügung hat. Der Gegenstandpunkt versucht nun aber aus dem Privatinteresse des Kapitalisten einen Gegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital zu begründen:
“Dabei schließt die Kalkulation des Unternehmers, die auf die Maximierung des Gewinns gerichtet ist, jenseits aller Gerechtigkeitsvorstellungen über eine angemessene Höhe des Lohnes den prinzipiellen Gegensatz zum Einkommen der Lohnabhängigen ein, deren Dienste in Anspruch genommen werden. Dieses Einkommen stellt in der Rechnung des kapitalistischen Betriebs jene Größe dar, die in der Welt des demokratischen Sachverstandes Lohnkosten heißt und mit der größten Selbstverständlichkeit der Rentabilität der Produktion gegenübergestellt wird”(KAPITEL 1).
Man muss sich fragen, wer denn dieser “industrielle Kapitalist” eigentlich sein soll. Ist es der dicke Mann mit Zylinder und Zigarre, den die DKP nicht mag? Eine Figur, die man von der Oberfläche her kennt, ist es jedenfalls nicht. Gerade das industrielle Kapital liegt im Prinzip ausschließlich in einer Form vor, in der das private Bereicherungsinteresse institutionell von der Vermehrung des Kapitals getrennt ist: Als Kapitalgesellschaft. Die Behauptung, aus dem privaten Bereicherungsinteresse der Eigentümer eines industriellen Kapitals entspringe ein Gegensatz zum Lohn, ist ohne Erläuterung nicht haltbar. Die institutionelle Trennung sorgt ja dafür, dass es gleichermaßen im Interesse der Arbeiter und der Shareholder ist, dass das Unternehmen gut läuft. Dann lassen sich Löhne und Dividenden zahlen.
Natürlich gibt es einen Gegensatz, der aber nicht im Interesse des Kapitals festgemacht werden kann, sondern in der Eigenart der Reichtumsquellen Kapital und Lohnarbeit liegt. Aber über die Natur dieser besonderen Einkommensquellen hat man ja noch kein einziges Wort erfahren. Erstens möchte man – erneut – fragen, worum es dem industriellen Kapitalisten denn eigentlich geht: Sich ein Einkommen zu verschaffen, oder seinen Gewinn zu maximieren? Wenn der Kapitalist die Produktion, die er finanziert, als Quelle seines Einkommens betrachtet, dann besteht der Widerspruch darin, dass er diese Quelle durch seine persönliche Konsumtion beschränkt. Wenn aber als Zweck die Vermehrung des Vermögens gelten soll, dann sind – von dem bisher “entwickeltem” Stand – alle Kosten gleichermaßen ein Hindernis des Überschusses. Möglichst billig einkaufen und möglichst teuer verkaufen ist dann die Devise, auch wenn völlig unklar ist, wie daraus ein gesellschaftliches Verhältnis entspringen soll, denn das wäre ja die Maßgabe für alle Warenverkäufer. Zweitens wird die Rentabilität eines Unternehmens gemessen als das Verhältnis von Gewinn zu Kapital. Keineswegs werden Lohnkosten “mit der größten Selbstverständlichkeit” der Rentabilität der Produktion gegenübergestellt, das wäre die Arbeitsproduktivität, die später erwähnt wird und auf die wir noch eingehen müssen, die aber selbst in der BWL nicht als das Maß aller Dinge betrachtet wird. Vom Standpunkt der Rentabilität wird gerade nicht unterschieden zwischen Kosten für Maschinen und Löhne. Das schreibt der Gegenstandpunkt selbst im nächsten Abschnitt:
“Die Führung des Unternehmens besteht in lauter Maßnahmen zur Herstellung und Steigerung der Rentabilität, die als Zweck des Betriebes zur entscheidenden Eigenschaft aller seiner Momente und Bestandteile wird. Die Betrachtung sämtlicher Elemente des Produktionsprozesses unter dem Gesichtspunkt, inwiefern sie auf Grundlage ihrer Kosten zur Erwirtschaftung von Gewinn beitragen, offenbart dem industriellen Kapitalisten die Sachzwänge seines Gewerbes, denen er zur Sicherung seines Betriebserfolgs gehorchen muss” (KAPITEL 1).
Wenn aber “sämtliche Elemente des Produktionsprozesses” unter dem Gesichtspunkt der Rentabilität betrachtet werden, dann gibt es auch keinen prinzipiellen Gegensatz zur Höhe des Lohns: Die Zahlung von höheren Löhnen oder von mehr Lohn insgesamt kann sehr wohl rentable sein, wenn dadurch der Gewinn gesteigert wird. Anstelle einer teuren Maschine werden mehr Arbeiter beschäftigt. Durch die Zahlung von höheren Löhnen gewinnt man produktivere Kräfte, usw. Man kann zwar immer sagen, dass der Lohn Abzug vom Gewinn ist. Das gilt aber eben gleichermaßen für alle Kosten. Warum soll jetzt ausgerechnet dieser Bestandteil einen “prinzipiellen Gegensatz” enthalten, der anders ist als der prinzipielle Gegensatz zu dem Verkäufer der Rohstoffe? Und noch wichtiger, dieser Gegensatz war ja offenbar von Anfang an aufgelöst. Der industrielle Kapitalist hat ja bereitwillig sein Geld in Rohstoffe, Maschinen und Arbeiter investiert in dem Wissen, dass dies genau der Weg ist, um auf magische Weise einen Überschuss zu erzielen. Und da man sich den Unterschied zwischen Arbeit und Arbeitskraft offenbar (vorerst) wegdenken soll, gilt für die Lohnarbeiter dasselbe, wie für jeden anderen Anbieter einer Ware: Wenn ihnen der Preis nicht passt, brauchen sie ja nicht verkaufen.
Offenbar ist sich der Gegenstandpunkt auch nicht sicher, schon etwas über die Natur des prinzipiellen Gegensatzes zwischen Kapital und Arbeit gesagt zu haben, denn er startet einen neuen Anlauf, diesen Gegensatz irgendwie zu fassen zu kriegen und führt die Umschlagsgeschwindigkeit ein.
“Der ebenso elementare wie umfassende Sachzwang, mit dem ein Unternehmen konfrontiert ist, hat in Gestalt eines geflügelten Wortes Eingang in die Kultur des späten Abendlandes gefunden. Mit der Redensart „time is money“ spielt der bürgerliche Verstand auf den ökonomischen Sachverhalt an, dass der Ertrag, den ein Kapitalvorschuss seinem Besitzer abwirft, von der Zeit abhängt, in der die investierte Geldgröße samt Gewinn zurückfließt und erneut angewendet werden kann. Die Umschlagsgeschwindigkeit seines Kapitals entscheidet darüber, wie oft sein Vermögen innerhalb eines bestimmten Zeitraums seine Gewinn bringende Funktion verrichtet.” (KAPITEL 1)
Dass die Beschleunigung der Produktion durchaus ein Sachzwang ist, soll nicht bestritten werden. Aber warum soll das gleich der “elementare wie umfassende Sachzwang” sein, mit dem Unternehmen konfrontiert ist? Ein Argument für dieses Herausheben kennt der Gegenstandpunkt scheinbar nicht und bedient sich daher eines Tricks: “Time is money”, das hat ja jeder schon mal gehört. Ein Trick ist das deshalb, weil hier ein Fitzelchen “Oberfläche” aufgezeigt wird, was man dann als Bestätigung für die Bedeutsamkeit des eigenen Arguments nehmen soll. In dieser Beliebigkeit entbehrt der Gedanke jeder Logik. Nur weil es bekannt ist, dass die Umschlagsgeschwindigkeit ein Sachzwang ist, zu dem sich Unternehmer gerne bekennen, heißt das noch lange nicht, dass man damit etwas elementares aufgespießt hat. Zudem bricht die Logik des Projektes an dieser Stelle. Es soll doch eigentlich die Erklärung der Konkurrenz der Kapitalisten erfolgen. Dafür müsste man die Sachzwänge, die ihnen in der Konkurrenz erscheinen, herleiten und nicht umgekehrt auf einen scheinbaren Sachzwang deuten um daraus das Kapitalverhältnis zu erklären.
Es ist ja auch extrem seltsam, dass wir uns plötzlich mit der Geschwindigkeit eines Prozesses beschäftigen sollen, der noch nicht ansatzweise erklärt wurde. Für einen Umschlag muss der Kapitalist durch “das Nadelöhr der Zirkulation”: Er muss die Waren nicht nur produzieren lassen, sondern auch verkaufen. Der Gegenstandpunkt argumentiert nun, weil es um die Beschleunigung des Umschlags ginge, gestalte der Unternehmer den Produktionsprozess um. Durch die Benennung der Begriffe “Liquidität”, “Anlagevermögen” und “Umlaufvermögen” – die weder vernünftig erklärt werden, noch für die weitere Argumentation irgendeine Rolle spielen – soll der Anschein erweckt werden, der reale industrielle Kapitalist wäre in seinem täglichen Geschäft tatsächlich darauf fokussiert, die Umschlagsgeschwindigkeit zu steigern. Man möchte einwenden: Sollte der Unternehmer sich nicht vielleicht zuerst darum kümmern, dass seine Produktion überhaupt rentabel ist? Die Verwandlung der einen Kapitalform in eine andere und wieder zurück (Umschlag) setzt voraus, dass dabei ein Plus zustande kommt, sonst nützt es auch gar nichts, diesen Prozess zu beschleunigen. Bevor der Unternehmer sich fragt, wie schnell sein Kapital umschlägt, wird er sich daher immer fragen, wie viel (Masse) denn zurückfließt und in welchem Verhältnis das zum Vorschuss (Rate) steht. Dass diese Rate dann gesteigert wird, wenn die Umschlagsgeschwindigkeit steigt, liegt in Wahrheit daran, dass der zurückgeflossene Teil des Kapitals bereits wieder im Verwertungsprozess eingesetzt wird. So zu tun, als könnte man das Kapitalverhältnis darauf runterbrechen, dass alles möglichst schnell gehen soll (time is money) zeichnet ein Zerrbild der kapitalistischen Wirtschaft.
Der Gegenstandpunkt braucht diese schwammige Argumentation, um zurück zum Verhältnis Lohnarbeit und Kapital zu kommen: Weil alles ganz schnell gehen muss, gilt dies auch für die Arbeit!
“Deshalb (?) erschöpft sich der geschäftsdienliche Umgang mit dem „Produktionsfaktor Arbeit“ auch nicht in der Befolgung der Notwendigkeit, die sich als Zwang zur fristgemäßen Bezahlung der Arbeitskräfte äußert, damit diese die Produktion am Laufen halten. Mit der Entlohnung seines Personals kommt der Unternehmer in den Genuss des Rechts und der Freiheit, die von ihm „geschaffenen Arbeitsplätze“ dem Betriebszweck entsprechend zu gestalten: Je mehr gearbeitet wird, desto schneller schlägt sein Kapital um, wobei die Verkürzung der Produktionszeit einerseits durch längere Arbeitszeit, andererseits durch kürzere Arbeitszeit pro Ware herbeigeführt wird.” (KAPITEL 1)
Für diesen grandiosen Schluss, der für geschulte Ohren so klingt als wäre man beim “absoluten und relativen Mehrwert” angelangt – obwohl über den Mehrwert nichts gesagt wurde – bräuchte man erstens die Umschlagsgeschwindigkeit überhaupt nicht. Es war doch schon gesagt, dass der Kapitalist seinen Umsatz steigern will. Wenn die Arbeiter bei gleichem Lohn länger arbeiten oder mehr Stück pro Zeit schaffen, steigt die Rentabilität. Dass der Kapitalist laut Gegenstandpunkt dabei an die Beschleunigung des gesamten Umschlags denkt – was eine willkürliche Annahme ist – fügt der Sache gar nichts hinzu.
Zweitens ist eine Verlängerung der Arbeitszeit keine Beschleunigung des Umschlags. Gemeint ist vermutlich, dass mehr pro Tag produziert wird, wenn zum Beispiel 12 statt 8 Stunden gearbeitet wird. Nehmen wir aber an, die Fabrik läuft 24 Stunden durch. Ob das in zwei Schichten zu je 12 Stunden oder in dreien zu 8 passiert, ist für die Umschlagsgeschwindigkeit gleichgültig. Will man aber einfach sagen, die Rentabilität steigt, wenn der Unternehmer für den Lohn von 8 Stunden plötzlich 12 arbeiten lässt, dann braucht man dafür die Umschlagsgeschwindigkeit nicht (siehe erstens).
Schlimmer noch: Durch den Bezug auf die Umschlagsgeschwindigkeit wird das Argument drittens falsch. Der Satz: “Je mehr gearbeitet wird, desto schneller schlägt sein Kapital um”, ist einfach nicht richtig, weil der Umschlag wesentlich mehr unterstellt, als den Produktionsprozess. Wenn die zusätzlich produzierten Waren auf Halde liegen, dann schlägt da gar nichts um. Und nicht einmal nur auf den Produktionsprozess bezogen, ist der Satz korrekt. Ist ein Arbeitsprozess als kapitalistischer Verwertungsprozess organisiert, dann ist ein einfach “mehr” an Arbeit ein Hindernis für den Umschlag. Da die Arbeit unterteilt ist, müsste das Mehr schon im richtigen Verhältnis stattfinden (entsprechend der organischen Zusammensetzung): Werden plötzlich fünf statt vier Autotüren produziert, dann braucht man auch entsprechend mehr Autos usw. Zudem ist für ein Mehr an Arbeit auch ein Mehr an Rohstoffen und Maschinerie notwendig. Gerade durch die Unterteilung in Anlage- und Umlaufvermögen ist überhaupt nicht gesichert, dass alle Produktionsfaktoren für ein Mehr an Arbeit zur Verfügung stehen.
Die eigentliche Wahrheit ist relativ simpel: Der Unternehmer richtet den ganzen Produktionsprozess von Anfang an so ein, dass er nach seiner Kalkulation möglichst rentabel ist. Er versucht, alle Produktionsfaktoren – inklusive Arbeit – möglichst günstig und genau in dem Umfang einzukaufen, dass der Gesamtprozess dann möglichst viele Waren hervorbringt, die er möglichst teuer verkaufen will. Weil der Unternehmer vom Anfangs- und Endpunkt eine Geldsumme vor Augen hat, an der keine Unterschiede hinsichtlich ihres Ursprungs festzumachen sind, erscheint ihm das Plus, dass er realisieren will, als Resultat seiner vorzüglichen Organisation des Produktionsprozesses. Die Umschlagsgeschwindigkeit hilft nicht, um hinter diesen Schein zu dringen. Auch die Einsparung von Schmieröl erhöht die Umschlagsgeschwindigkeit und in der Beschleunigung des Gesamtprozesses – so diese denn gelingt – ist beim industriellem Kapital der größte Posten die schnellere Abschreibung des Anlagevermögens. Die besondere Rolle, die der Faktor Arbeit in Wirklichkeit tatsächlich hat, wird in der ganzen Argumentation bloß behauptet und am Schluss durch einen Zirkelschluss “belegt”: “Mit der Umschlagsgeschwindigkeit des gesamten Kapitals steigen die ihm entspringenden Überschüsse also in dem Maße, in dem der industrielle Kapitalist seinen Arbeitskräften Leistung abverlangt. Im Umgang mit den von ihm „beschäftigten“ Lohnarbeitern folgt er dem Gebot seiner kaufmännischen Rechnung, der zufolge sich alle Kosten lohnen müssen, in besonderer Weise: Über den Einsatz der Arbeitskräfte stellt er die Rentabilität des Betriebs her.”
Dass es nicht wirklich die Umschlagsgeschwindigkeit ist, war schon ausgeführt. Aber selbst wenn man im ersten Satz die Beschleunigung der Produktion reinliest, wird es nicht richtig. Der Satz könnte auch heißen: Mit der Beschleunigung des Produktionsprozess verlangt der industrielle Kapitalist seinen Arbeitskräften Leistung ab, in dem Maße, in dem sein Überschuss steigt.” Es wurde gerade nicht nachgewiesen, dass die Arbeit die Rentabilität herstellt. Was hier präsentiert wird, ist eine Tautologie: Wegen mehr Umschlag mehr Arbeit, deshalb wegen mehr Arbeit mehr Umschlag.
Deshalb ist auch der Schluss falsch, auf den der Gegenstandpunkt eigentlich hinaus will: “Sein Geschäftserfolg geht auf Kosten der Lebenszeit und der Lebenskraft seiner Arbeiter.” Der Satz ist zwar an sich richtig, folgt aber eben nicht aus der bisherigen Darstellung. Es bestreitet ja niemand, dass Arbeit Zeit und Mühe kostet. Und natürlich, wenn mehr und schneller produziert wird, dann ist dafür – bei gleicher Produktivkraft – auch mehr Arbeit notwendig. Und natürlich freut sich der Unternehmer über eine Steigerung der “Arbeitsproduktivität”, was hier meint, mehr Waren bei gleichen Kosten für die Arbeit durch (unbezahlte) Verlängerung der Arbeit oder durch ihre Intensivierung. Aber “steht und fällt” mit der “Arbeitsproduktivität” “sein ganzes Unternehmertum”, wie der Gegenstandpunkt behauptet? (KAPITEL 1) Zunächst einmal fällt auf, dass hier immer noch mit einem “mehr” argumentiert wird, weil das “was” nicht erläutert wurde. Der Geschäftserfolg stellt sich doch nicht dadurch ein, dass “mehr” gearbeitet wird, sondern ganz prinzipiell dadurch, dass “rentabel” gearbeitet wird. Die rentable Arbeit unterstell hingegen, dass auch die anderen Produktionsfaktoren rentabel eingesetzt werden und dass der Unternehmer mit seiner Arbeit die Organisation des Produktionsprozesses leistet. Man könnte daher genau so gut sagen, sein Geschäftserfolg geht auf Kosten seiner eigenen Lebenszeit und Lebenskraft, denn er muss das alles organisieren. Und gerade bei “kapitalintensiver Produktion”, wie wir sie ja beim industriellen Kapitalisten vorfinden, weiß sogar Wikipedia, dass die Arbeitsproduktivität (Ware pro Lohnsumme) ein sehr schlechter Indikator ist, weil sich die Rendite eben durch einen massiven Einsatz von Maschinerie und verhältnismäßig wenig bezahlter Arbeit ergibt. Das ist ja auch genau der Grund, warum der industrielle Kapitalist die Arbeit in ihrer Dauer und Intensität gar nicht großartig steigern kann, ohne weitere Schritte zu unternehmen. Die Arbeitsplätze sind von Anfang an so eingerichtet, dass möglichst viel an ihnen geleistet wird und zwar bezogen auf den Gesamtprozess der Produktion. Daher kalkuliert der Unternehmer auch mit dem einzelnem Arbeiter nicht so, dass er immer mehr Lebenszeit und Lebenskraft von ihm aufsaugen will. Vielmehr verschafft er sich mit der Bezahlung des Lohns das Recht, die Arbeit für eine festgelegte Zeit nach seinen Maßstäben zu benutzen. Da gibt es Arbeitsplätze, an denen am besten rund um die Uhr hart geschuftet wird und andere, die zwar notwendig sind, aber gar nicht ständig tätig werden. Wie bei allen Waren, die der industrielle Kapitalist einkauft, versucht er natürlich auch bei der Arbeit möglichst viel für sein Geld zu bekommen. Ob dass dann als Akkord- oder Teilzeitarbeit organisiert wird, ob 35 oder 42 Stunden gearbeitet werden, ob es 20 oder 200 Leute für einen Job braucht usw. verdankt sich der Kalkulation des Unternehmers und steht schon in dem Moment fest, wo die Arbeit beginnt, nämlich als fertig eingerichteter Arbeitsplatz. In der modernen Welt steht auch die individuelle Arbeitszeit und der Lohn schon bei der Einstellung fest. Die Gleichung “Mehr Geschäftserfolg = mehr Verlust an Lebenskraft und Lebenszeit” ist daher für den einzelnen Arbeiter definitiv falsch. Man kann zwar sagen, wenn die Menge an Produkten gesteigert wird, dann wird auch mehr gearbeitet (und mehr Kapital aufgewandt etc.). Und wenn mehr gearbeitet wird, dann wird in der Summe auch mehr Lebenszeit und Lebenskraft verbraucht. Aber das ist ja gerade die generelle Definition von Arbeit: Arbeit ist in der Physik Kraft mal Weg. Zwei Steine auf einen Berg rollen bedeutet also doppelt so viel Arbeit wie einen Stein zu bewegen. Die dafür notwendige menschliche Arbeit verdoppelt sich ebenfalls, wenn die Produktivität dieselbe bleibt. Dass sich der Unternehmer diese Arbeit als Mittel für seinen Geschäftserfolg einkauft, ist für sich kein Skandal. Der Arbeiter hat ja in den Arbeitsvertrag, der Lohn und Arbeitszeit regelt, eingewilligt, weil er ja gerade Lebenskraft und Lebenszeit gegen ein Einkommen eintauschen will. Dass er für’s Nichtstun bezahlt wird, war weder der Deal noch seine Erwartung.
Da der Gegenstandpunkt offenbar selbst keine innere Logik in seinem Artikel finden kann, aber noch nicht wirklich einen Kritikpunkt am Kapitalismus gefunden hat, ergänzt er den Abschnitt um einen “Zusatz”: “Das Geschäftsinteresse, das die Produktivkraft der Arbeit fordert und fördert, ist keineswegs bedient, wenn durch wenig Arbeit viel erzeugt wird. Der Standpunkt der Rentabilität unterwirft die Arbeit einem ihrer Produktivität fremden Maßstab. Während es beim Arbeiten für sich genommen, wenn es produktiv sein soll, darauf ankommt, dass eine Gesellschaft in zweckmäßiger Arbeitsteilung und unter Einsatz von technischem Gerät auf Grundlage wissenschaftlicher Naturbeherrschung mit einem Minimum an Kräfte- und Nervenverschleiß ein Maximum an Ausbildung und Befriedigung von Bedürfnissen zuwege bringt und dabei denen, die die Arbeit tun, ein Höchstmaß an freier Zeit verschafft, verknüpft die kapitalistische Rechnung hier lauter Geldgrößen miteinander” (KAPITEL 1).
Ja, der Maßstab der Rentabilität unterwirft die Arbeit einem ihrer Produktivität fremden Maßstab, denn Rentabilität ist – wie oben ausgeführt und anders als vom Gegenstandpunkt behauptet – nicht mit der Arbeitsproduktivität und auch nicht mit der Arbeitsrentabilität identisch. Was dann aber als “eigentliche” Bestimmung der Arbeit ausgeführt wird, ist einfach Unsinn. Beim “Arbeiten für sich genommen” soll es angeblich darum gehen, dass eine Gesellschaft möglichst wenig arbeitet (Minimum an Kräfte- und Nervenverschleiß bei Maximum an Ausbildung (?) und Befriedigung der Bedürfnisse). Logisch gesehen wird hier also vom wirklichem gesellschaftlichen Zweck abstrahiert und ein vermeintlicher anderer gesellschaftlicher Zweck dagegen gehalten. Es kann also gar nicht sein, dass es “beim Arbeiten für sich genommen” – also gerade unter Abstraktion des gesellschaftlichen Zwecks – darum geht, gesellschaftlich möglichst wenig zu arbeiten. Zwar kann man sagen, dass die Entwicklung der Arbeitsproduktivität es einer Gesellschaft ermöglichen würde, die Dinge, die sie produziert, mit weniger Aufwand zu erzeugen. Das ist ja gerade die Definition der Produktivität für sich genommen. Daraus alleine folgt aber nicht, dass dann auch der Zweck der Gesellschaft ist (bzw. idealistischer Weise sein sollte), den Verschleiß von “Hirn, Muskel, Nerv” zu minimieren. Man kann also auch nicht behaupten, dass dieser fromme Wunsch die eigentliche Bestimmung der Arbeit wäre.
Es folgt dann ein neuer Versuch, das Verhältnis von Kapital und Arbeit zu fassen zu kriegen: “Maßgebliches Erfolgskriterium ist dabei der größtmögliche Überschuss des Geldertrags über den nötigen Vorschuss. Deswegen lässt der kapitalistische Unternehmer seine Leute so lange und so intensiv wie möglich produktiv tätig werden; denn in dem Maß, wie verkäufliches Zeug zustande kommt, wirkt die Arbeit als Geldquelle.” (KAPITEL 1) Eigentlich hatten wir doch vorher gelernt, dass die Steigerung der Umschlagsgeschwindigkeit das maßgebliche Erfolgskriterium ist. Auch wenn man diesen immanenten Rückfall ignoriert, ist der Satz verkehrt. Inwiefern sich die Arbeit als Geldquelle (Überschuss des Geldbetrags) erweist, hängt eben nicht an dem Maße, wie verkäufliches Zeug zustande kommt, sondern darin, wie viel Überschuss der Kapitalist mit dem Verkauf der Waren erzielen kann, also an dem in den Waren realisierten Mehrwert, also letztlich der Differenz des Wertes des produzierten Waren zum Wert der Ware Arbeitskraft (konstantes Kapital fällt aus der Rechnung raus).
Der Gegenstandpunkt beschreibt nun die Sichtweise des Kapitals auf seine Produktionsfaktoren und erläutert, dass Kapital und Arbeit so erscheinen, als würden sie gleichermaßen ihren Beitrag leisten.
Danach wird das Rumgeeiere dann noch offensichtlicher, wenn es heißt: “Dementsprechend wird die Arbeit so bezahlt, als wäre sie für sich genommen tatsächlich total unproduktiv; so nämlich, dass die Belegschaft so lange und so intensiv arbeiten muss, als hätte der Arbeitstag kaum genug Stunden, um den Gegenwert dessen zustande zu bringen, was ein Arbeiter für seinen Lebensunterhalt braucht.” (KAPITEL 1) Zunächst einmal wird sich jeder unbedarfte Leser die Frage stellen, in welchem modernen Industriebetrieb die Arbeitszeit so ausgedehnt wird, als hätte der Tag nicht genügend Stunden. Der Gegenstandpunkt verfällt in eine stupide Kritik der Ausbeutung: Dass das Leben der Arbeiter so unerträglich ist, ist der Skandal, nicht etwa die Aneignung unbezahlter Mehrarbeit. Ob dass die moderne Arbeiterschaft überzeugt, sei mal dahingestellt. Vor allem wird hier aber wieder ein neuer Maßstab eingeführt: Den Gegenwert dessen produzieren, was ein Arbeiter für seinen Lebensunterhalt braucht. Offenbar geht es halt doch nicht, ohne den Wert der Ware Arbeitskraft einzuführen. Vorher hatten wir aber gerade gelernt, dass der “eigentliche Maßstab der Arbeit” wäre, was es an gesellschaftlichen Bedürfnissen gäbe, die mit möglichst wenig Arbeit zu befriedigen wären. Wie kommt man von da auf die Lebenshaltungskosten der Arbeiter? Die Antwort ist schlicht und ergreifend: Gar nicht. Es spielt aber auch keine Rolle, weil das Argument gar nicht weiter verfolgt wird. Nach dem noch einmal wiederholt wird, dass der Kapitalist die Arbeit einsetzt, um “ein insgesamt lohnendes Betriebsergebnis wirksam werden zu lassen” (KAPITEL 1) lautet das Fazit: “Was dabei herauskommt, ist das Gegenteil dessen, was die wesentliche Errungenschaft einer nach ihren eigenen Maßstäben produktiven Arbeit ausmachen würde: intensiver Verschleiß von Kraft und Nerven einen ausgedehnten Arbeitstag hindurch.” (KAPITEL 1) Per Tautologie sind wir also zurück beim Anfangspunkt: Man stellt sich die Arbeit an sich vor, als gesellschaftliches Mittel, um Arbeit zu vermeiden und blamiert den Kapitalismus daran, dass er ja viel Arbeit verlangt, Arbeit aber anstrengend ist.
Im finalem Schluss behauptet der Gegenstandpunkt nun, man hätte etwas über die Quelle des Gewinns gelernt. Diese sei “die Differenz zwischen einem Arbeitsentgelt, das von jeglicher Produktivkraft der Arbeit vollständig abstrahiert, nichts weiter als die kontinuierliche Möglichkeit des Tätigwerdens im Dienst des Betriebs, die Reproduktion der Arbeitskraft zum Inhalt hat, auf der einen Seite und auf der anderen Seite dem geldwerten Resultat des Einsatzes der Produktivkräfte der Arbeit, zu denen es die Gesellschaft gebracht und die der Unternehmer sich gekauft hat.” (KAPITEL 1) Um die “erste Seite” dieser Differenz zu erläutern braucht es gleich drei Anläufe: ein Arbeitsentgelt, das von der Produktivkraft der Arbeit abstrahiert und statt dessen die kontinuierliche Möglichkeit des Tätigwerdens zum Inhalt hat, was das gleiche sein soll, wie die Reproduktion der Arbeitskraft. Alles daran ist verkehrt. Das Arbeitsentgelt – also der Lohn – abstrahiert gerade nicht vollständig von der Produktivkraft, sondern ist ja der Hebel, um die Produktivität zu steigern, zum Beispiel in Form des Zeit- oder Stücklohns. Die Möglichkeit des Tätigwerdens schafft sicher keine geldwerte Differenz. Gemeint ist vermutlich, dass der Kapitalist sich ja die Arbeit als wertschaffende Substanz einkauft, die Realisierung, also der Verwertungsprozess aber unter dem Kommando des Kapitals stattfindet und somit auch die Früchte der Arbeit dem Kapital gehören. Dann dürfte man hier aber nicht über das Arbeitsentgelt reden, sondern müsste – endlich – etwas über die Arbeit sagen. Warum das auch noch das gleiche sein soll, wie die Reproduktion der Arbeitskraft bleibt ein Geheimnis. Wir haben bislang nichts erfahren über die Arbeitskraft, geschweige denn über ihre Reproduktion. Hier wird einfach ein Begriff von Marx reingeschummelt, damit der vorgebildete Leser verständlich nicken kann.
Der Vollständigkeit wegen noch ein paar Anmerkungen zu Punkt 2: “Außerökonomische Voraussetzungen des Geschäfts, das seine Notwendigkeit und seine Macht auf die Leistungen politischer Gewalt gründet” (KAPITEL 1).
Hier ist nun der Ort, um über das Eigentum abzuledern: “Um die gesellschaftliche Produktion der Geschäftstüchtigkeit von Kapitalisten zu unterwerfen, so dass das Zustandekommen und die Verteilung des Reichtums tatsächlich zur abhängigen Variable der Rentabilität gerät, bedurfte es erst einmal der Etablierung des Privateigentums. Der Staat erhebt die ausschließende Verfügung über sämtliche Mittel der Konsumtion wie Produktion zum geltenden Recht. Und indem er das Geld als verbindliches Maß des Privateigentums in Kraft setzt, legt er seine Gesellschaft auf den Erwerb dieses abstrakten Reichtums fest.” (KAPITEL 1) Historisch fällt die Entstehung des Privateigentums in keiner Weise zusammen mit dem Kapitalismus. Als Prinzip ist das schon bei den Griechen und Römern bekannt und keineswegs eine Leistung des modernen bürgerlichen Staates. Die moderne Durchsetzung diese Prinzips beschreibt Marx im ersten Band des Kapitals im Kapitel über die ursprüngliche Akkumulation. Interessanter Weise argumentiert Marx da, dass gerade der aufkommende Kapitalismus – am Beispiel der mechanischen Webstühle – zu dieser Durchsetzung geführt hat. Weil die Masse an Wolle, die mit der neuen Technik versponnen werden konnte, so stark wuchs, nahmen die Junker und dergleichen das Gemeindeland in Besitz und verwandelten Schottland in das Land, in dem Schafe Menschen fressen. Das verdankt sich natürlich nicht der gestiegenen Produktivkraft, sondern dem kapitalistischem Zweck. Dann ist aber die Herstellung des Privateigentums weder konzeptionell noch praktisch eine außerökonomische Voraussetzung. Man kann sich das auch so klar machen: Die “ausschließende Verfügung über sämtliche Mittel der Konsumtion wie Produktion” ist gar nicht dadurch festgelegt, dass der Staat das Eigentum durchsetzt, sondern erst dann gegeben, wenn die Arbeiter vom Eigentum an Produktionsmitteln – wie Almendeland in dem Beispiel von Marx – getrennt sind. Der Gegenstandpunkt geht sogar soweit, zu behaupten, der Staat hätte mit “der gebotenen Brutalität […] die überkommene Produktionsweise zerstört [und] eine neue Scheidung von gesellschaftlichen Klassen herbeigeführt” (KAPITEL 1). Es gibt natürlich historische Beispiele, wo Staaten gesagt haben: Wir machen jetzt Kapitalismus und dafür stellen wir die entsprechenden Klassen her. Aber die Herstellung der Klassen – also das was Marx als Resultat seiner ökonomischen Abhandlung sieht - kann doch nicht als außerökonomische Voraussetzung behandelt werden. Staaten, die sich einem solchen Programm verschrieben haben, haben doch gerade auf der Entstehung dieser Klassen aus dem Gang der Konkurrenz aufgebaut und nicht tabula rasa gemacht und dann per Gewalt bestimmt, wer industrieller Kapitalist und wer Arbeiter werden darf.
Das argumentieren mit Voraussetzungen hat noch ein Problem: Man verfällt in einen endlosen Regress. Wenn ich schon den Staat und das Privateigentum als Voraussetzung für wichtig halte, muss ich dann nicht auch sagen, auf welchen Voraussetzungen diese Konzepte beruhen? Ist nicht zum Beispiel das Gewaltmonopol, wie es vorkapitalistische Staaten schon etabliert haben eine Voraussetzung für die Durchsetzung der Privatmacht des Geldes? Hegel hat dazu in der Logik bereits alles wesentliche gesagt: “Wenn alle Bedingungen einer Sache vorhanden sind, so tritt sie in die Existenz. Die Sache ist, ehe sie existiert; und zwar ist sie erstens als Wesen […]; zweitens hat sie Dasein[…]: einerseits in ihren Bedingungen, andererseits in ihrem Grunde.” (Hegel, Wissenschaft der Logik II, Werke Band 6, Surkamp 1986, 122) Das bedeutet: Zu zeigen wäre einerseits, wie in den Bedingungen schon der Begriff liegt und andererseits was der Grund der Sache jenseits ihrer Bedingungen ist. Für sich genommen tun die Voraussetzungen also nichts zur Sache hinzu.
Die her beschriebenen Muster der Argumentation ziehen sich durch das ganze Projekt (also auch durch die weiteren Paragraphen und Folgeartikel). Es wird konsequent auf die richtige Bestimmung der Gegenstände verzichtet. Dann wird auf irgendwas gedeutet, was man aus der echten Welt halbwegs wiedererkennt, aber schon in einer Form, dass die Oberfläche völlig verzerrt dargestellt wird. In einer Vermischung mit marxistischen Kategorien, die unerklärt bleiben, entsteht dann ein Brei von Scheinargumentationen, aus dem man dann tautologisch darauf zurückschließt, dass die echte Welt diesen marxistischen Kategorien entspräche. Um Marx in abgewandelter Form zu paraphrasieren: Es werden Übergänge der Sache als Übergänge der Logik verkauft.
Eine andere Sache, die in der verworrenen Darstellung des Artikels leicht untergeht, sollte nicht unerwähnt bleiben: Über die Konkurrenz ist bislang noch kein Wort verloren worden. Der Begriff taucht zum ersten Mal im zweiten Abschnitt des zweiten Paragraphen auf. Eigentlich wollte man ja “systematisch darlegen, welche Notwendigkeiten die Akteure einer Welt ins Werk setzen, in der „Konkurrenz herrscht“, und mit welcher eigenen Logik sie das tun.” (EINLEITUNG) Der erste Paragraph beschreibt aber eine (Zerr-)Welt, in der es gar keine Konkurrenz gibt. Der industrielle Kapitalist lebt im Singular. Er ist eine Monade, deren Handeln sich einzig aus seinen Zwecken ergibt und nicht durch das Handeln seiner Klassenbrüder ihm als Sachzwang erscheint. Man wird an dieser Stelle vielleicht einwenden, dass eben der Markt (Paragraph 2) der Ort der Konkurrenz ist. Das bedeutet aber nicht, dass die Sphäre der Produktion nicht auch schon durch die Konkurrenz geprägt ist. Wie sollte es auch anders sein. Anstatt den Bereicherungswillen des industriellen Kapitalisten zu bemühen, wäre es wesentlich realitätsnäher, auf die Konkurrenz zu verweisen: Der industrielle Kapitalist muss Waren rentabel produzieren, weil es eben nicht auf die Herstellung nützlicher Güter ankommt und er dabei in Konkurrenz zu Seinesgleichen steht. Daher ist der Stand seiner Rentabilität immer ungenügend, weil im Vergleich zu den anderen. Wenn andere rentabler sind, geht sein Geschäft nicht auf. Auch weil die industriellen Kapitalisten sich ja wechselseitig als Käufer und Verkäufer von Waren begegnen – auch das wird nicht erwähnt, der industrielle Kapitalist kauft beim Gegenstandpunkt von völlig unbenannten Besitzern – wäre ein Hinweis auf die Konkurrenz schon vor der Sphäre des Marktes eigentlich notwendig. Wenn man denn die Konkurrenz der Kapitalisten erklären wollte. Man will aber ja offenbar ein neues Kapital schreiben, für Leute, die einerseits schon alles wissen und andererseits dumm oder diszipliniert genug sind, sich jede substantielle Bestimmung wegzudenken – bis sie dann zu gegebener Zeit aus dem Zusammenhang gerissen erscheint und man gedanklich ein Häckchen machen kann (wie zum Beispiel die Floskeln Reproduktion der Arbeitskraft, abstrakter Reichtum, Privatmacht des Geldes etc.).
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